Der schwäbische Papaya-König von Ghana

Als Helmut Lutz, den sie in Ghana »Papaya-König« nennen, weil er von seiner »Tropigha Farm« in der Voltaregion jedes Jahr mehr als tausend Tonnen Früchte nach Deutschland fliegen und schiffen lässt, 1988 erstmals durch Afrika reiste, wusste er nicht, wo er ankommen würde, nur, was er nie werden wollte: Landwirt.

Lutz stammt von der Filderebene über Stuttgart, wo der Spitzkohl grün und der Wind, der den Leuten Furchen in die Gesichter und Gedanken weht, ewig ist. Der »Ohpa«, spät aus dem Krieg gekommen, war Krautbauer. Der »Vadder«, spät aus der Kneipe gekommen, auch. Mit Fritz, dem Sohn vom Krautbauern nebenan, spielte Helmut Lutz, dass sie durch die Prärie ritten. Die Äcker waren unendlich. Dahinter lag der Flughafen. Die Welt.

Auf den Fildern brauchst du einen guten Grund, um den Hof nicht zu übernehmen, und der einzige gute Grund ist ein silberner Stern, der auf die Kühlerhaube montiert wird. Helmut Lutz wurde als ganz junger Mann unten »beim Daimler« genommen. Aber er merkte bald, dass die anderen Lehrlinge nur da waren, weil schon ihre Väter beim Daimler »gschafft« hatten. Er wechselte zu einem kleineren Betrieb. Aber er musste weiter weg. Also kündigte Lutz und fuhr mit seiner damaligen Freundin Carola los. Sie eine Meisterin in den Standardtänzen, er Maschinenschlosser, Meister in den Standardmotoren. Lutz war 28. In seinem Bus, einem Mercedes L319, pflügten sie durch den afrikanischen Kontinent, bis sie nach exakt 365 Tagen am Kap der Guten Hoffnung standen.

Von den vielen armen Flecken, an denen sie Halt machten, war die Zentralafrikanische Republik der ärmste. »Da bekamst du nichts. Högschdens Malaria«, sagt Helmut Lutz. Aber selbst dort fand dieser Mann, so geradeaus wie die A8 zwischen Stuttgart-Möhringen und Echterdingen, weil er die richtigen Leute anschwätzte, ein Stück Fleisch, und wenn’s Giraffe war, und wenigstens eine Zwiebel und eine Handvoll Mehl und ein Ei. Zu Hause hatte er kaum gekocht. Aber auf den Campingplätzen, von denen die meisten Sandlöcher waren, in denen sich traf, wer in Afrika nichts verloren hatte, aber was suchte, hockte er sich vor den Gaskocher, als die Hitze wegdämmerte, und schabte Spätzle ins Wasser wie einst die Oma und haute das Fleisch in die Pfanne und warf die Zwiebeln hinterher und fand einen Rest Rotwein, mit dem er alles löschte. Zwiebelrostbraten!

Du musst wissen, wovor du fliehst

In der Zentralafrikanischen Republik lockte er drei kaputte Kerle an, Deutsche mit langen Matten, wie Lutz eine hatte, bevor die Sonne ihm den Schädel braun und weitflächig kahl brannte, als trüge er eine Savanne spazieren. Die drei hatten sich seit Monaten nur von mitgebrachtem Dosenthunfisch und Bananen ernährt.

»Langet zu«, sagte Helmut Lutz, »ihr verrecket sonsch!« Die Kerle konnten es nicht glauben. Dass einer im staubigen Nichts ein saftiges Traditionsgericht zubereitet. Waren sie nicht hier, um das Unbekannte zu probieren? »Schaut euch an«, sagte Lutz, »isch des gsund?« Was er ihnen predigte, als sie aßen, wurde eine Lutz’sche Lebensweisheit, deswegen erinnert er sich so gut an die drei: »Es reicht ned, von zu Hause abzuhaue. Du musch was mitnehme! Ein Gefühl, ned Thunfisch!« Was du zu Hause hasst, meint Lutz damit, gibt dir den Antrieb zu starten. Du musst wissen, wovor du fliehst. Aber was du zu Hause liebst, gibt dir die Kraft, woanders klarzukommen. Du musst wissen, was zu dir gehört.

Helmut Lutz kann nicht ohne schwäbisches Essen. Er hat viel probiert in Afrika; der Maisbrei und der grätige Fisch, hör mir auf. Und er liebt die schwäbische Pünktlichkeit. Die Frau, die er heiratete, weil er auch sie liebt, Valerie, eine Nigerianerin, sagt: Die Weißen haben die Uhren, die Schwarzen die Zeit. Und er liebt schwäbische Autos. Die haben ihn so weit gebracht.

Links: Spätzle mit Gulasch – auch in Ghana bevorzugt Helmut Lutz schwäbisches Essen.
Rechts: Die Oxford Street in Accra.

Nach anderthalb Jahren kam er damals zurück aus Afrika. Das Geld war knapp geworden und der Raum, den Carola ihm ließ. Sein Vater war bereits tot, viel zu früh verstorben. Helmut Lutz eröffnete auf dem Hof, den der Vater hinterlassen hatte und den auch der kleine Bruder nicht weiterführen wollte, eine Werkstatt. Er bestimmte frei über seine Tage. Trotzdem begann jeder davon mit Fernweh nach Straßen, deren Ende er nicht kannte. Alle paar Monate lockte Lutz die Kumpels: Kommt, ich mach die Werkstatt drei Wochen zu, wir überführen alte Daimler nach Afrika, verkaufen die und fliegen mit dem Geld heim. Im Konvoi ging es durch Wüste und Matsch, nach Algerien, Niger, Togo. Wenn einer eine Panne hatte, bretterte Helmut Lutz Hunderte Kilometer in die nächste Oase, um Ersatzteile zu holen.

Dreißig Jahre später sitzt Lutz nun in der zigarettentrockenen und klimaanlagenfeuchten Luft seines Mercedes Benz GL 320, Baujahr 2008, Neupreis 65 000 Euro, den er günstig erworben hat, weil er erst mal einen neuen Motor einbauen musste. Das massige Auto ragt im Morgenflimmern wie ein Elefant aus dem Stau von Accra, der keinen Anfang und kein Ende zu nehmen scheint, wie die Hauptstadt von Ghana selbst.

»Wegen dem Scheißverkehr bin i kaum noch hier, sondern immer auf der Farm«, schimpft Lutz. Nichts macht ihn so rasend, wie gebremst zu werden, auf der Straße und beim Erzählen. Wieder mal ringt der Qualm aus seinen Lungen seine Stimme nieder, ehe der Satz beendet ist. Helmut Lutz raucht noch mehr, als er redet, drei Schachteln Rothmans am Tag. Er raucht nicht Kette, er raucht Überholspur.

Die Plantage, die er seit fast 20 Jahren leitet, liegt drei Schlaglochautostunden nördlich von Accra. Lange pendelte Lutz. Vor zwei Jahren zog seine Frau mit dem gemeinsamen Sohn, 14 Jahre alt, nach Deutschland, zur Mutter auf die Filder. Sie wollten, dass der Junge eine anständige Schule besucht. Jetzt ist Helmut Lutz in dem Bungalow inmitten einer ummauerten Siedlung allein. Er hat keinen Grund mehr, in der Stadt zu sein. Nur heute, er musste zum Zahnarzt. Lutz hat neue Schneidezähne bekommen, weiß und symmetrisch. Seine Frau war die alten schon lange leid. Helmut Lutz war es egal, bis es wehtat. »Schmieren und Salben hilft allenthalben«, sagte sein Opa, »bei Herren und bei Kerren!« Kerren sind Karren, Autos. Die hat Lutz besser gepflegt als sich.

1993 kam Lutz nach Ghana und verguckte sich sofort in das Land: die Menschen ungewöhnlich unbeschwert, die Demokratie ungewöhnlich ungefährdet. Ein Deutscher betrieb nahe Accra eine Papayaplantage, Lutz sollte deren Fuhrpark warten. Von diesem Afrika-Ausflug kehrte er nie zurück, nur für Familienfeiern. Seine Werkstatt vermachte er dem besten Mitarbeiter. Denn als er den Fuhrpark repariert hatte, organisierte er, ohne es bemerkt zu haben, die Plantage des Deutschen. Lutz lernte, dass Papayas, wenn man viele Früchte ernten will, ähnlich viel Wasser und ähnlich viel Licht wie Spitzkraut benötigen. Und er importierte Sorten, die besser schmeckten als die in Ghana heimischen Papayas, die damals niemand aß. Er lernte, was es braucht, damit das Fruchtfleisch mit dem fantastischen Vitamin-C-Gehalt nicht zu süß oder zu faserig ist. Er lernte, mit der Gewerkschaft zu reden, mit Politik und Polizei. Doch der Besitzer kümmerte sich wenig um seine Plantage. Und wenn Helmut Lutz eine Sache macht, dann richtig.

Nach vier Jahren kündigte er und eröffnete erst mal am Labadi Beach, Accras Stadtstrand, eine Bar. Das Beste an seiner Bar waren aber nicht die importierten Würschtle, sondern die Frau, die am Tresen Platz nahm, eine nigerianische Journalistin. Valerie.

Vom Krautbauern zum Papaya-König

Zu der Zeit traf Lutz auf Heimatbesuch Fritz, den Kindheitsfreund. Der hatte aus dem Krautbauernhof der Familie ein modernes Unternehmen gemacht, das war seine Flucht gewesen, aber wer aß noch Sauerkraut? Selbst die Leute auf den Fildern wollten was Exotisches. Moment mal, Helmut, du kennst dich doch mit Papaya aus? Fritz Schumacher verstand was vom Geschäft. Helmut Lutz was von Afrika. So wurden die Krautbauernsöhne, die nie Krautbauern werden wollten, Papayabauern. Schumacher leitet auf den Fildern den Vertrieb, Lutz in Ghana den Anbau. 400 Hektar, 90 000 Pflanzen, 200 Arbeiter. Bis zu sechzig Tonnen Papaya und mittlerweile auch Ananas schicken sie jede Woche nach Deutschland, als ganze Frucht oder von einem Zwischenhändler in Stückchen geschnitten. Wer in einem deutschen Supermarkt regelmäßig Papaya oder Ananas kauft, hat sicher schon eine von Helmut Lutz probiert.

Als er an diesem Morgen endlich Accra hinter sich gelassen hat, wird Lutz erneut aufgehalten. Er kennt die Polizisten an den vielen Straßensperren auf dem Weg zur Farm, und sie kennen ihn, er muss nicht jedes Mal Taschengeld geben. Aber ein vermutlich neuer Kollege will den Feuerlöscher und die zwei Warndreiecke, die jetzt in Ghana Pflicht sind, kontrollieren. »Des gibt’s nicht, dass ich mir jetzt was über Ordnung und Sicherheit verzähle lasse muss«, schimpft Lutz und brüllt aus dem Autofenster: »Do you know who I am?« Nach einer halben Stunde, als Lutz doch noch ein Bündel Scheine hervorkramt, taucht ein Mann in einer weißen Uniform auf, der Vorgesetzte, und befiehlt lachend, »Mister Helmut« passieren zu lassen.

Links: Helmut Lutz auf seiner Farm in der Voltaregion im Südosten von Ghana.
Rechts: Ein Arbeiter pflanzt »Ananas-Blattschöpfe«

Aus dem Autoradio wütet der Gangstarap des Sohnes, in seine Freisprechanlage hinein wütet Helmut Lutz. Sein einziger Lkw ist kürzlich nachts vollbeladen gegen eine ungesicherte Unfallstelle gekracht. Die bauen hier keine Autobahn und bergen keine Fahrzeuge. Totalschaden. Der Fahrer im Krankenhaus. 50 000 Euro futsch. Lutz braucht einen Ersatzwagen und einen Ersatzfahrer. Aber der ist verschwunden. Die Bürochefin auf der Farm, eine Nigerianerin, neu eingestellt, weil die Vorgängerinnen aus der Gegend regelmäßig was abzwackten, weiß nicht weiter. Klaus, der maulfaule Tübinger, der auf seinem Motorrad über die Felder tuckert, sein Co-Chef, auch nicht. An alles, was er ins Telefon schreit, hängt Helmut Lutz ein langes »Haalllo?« ran, als müsse er die anderen aufwecken.

»In Deutschland hat man keine Vorstellung, was es heißt, hier zu arbeiten«, sagt Lutz. Er wird nur gefragt, ob die 100 Euro im Monat, die seine Hilfsarbeiter bekommen, nicht wenig seien. Dass das mehr ist als der ghanaische Mindestlohn und er der einzige Arbeitgeber in der kargen Region ist, dass er einen Kindergarten baut, dass bei ihm viele Karriere machen bis zum Vorarbeiter, will keiner wissen. Stattdessen heißt es von den Supermärkten, die Deutschen wollten die Ananas grüner, aber bitte reif. Oder man fragt nach der CO2-Bilanz. Dabei würden die Frachtflugzeuge, die sein Obst mitnehmen, ohnehin zurück nach Europa fliegen, sonst eben leer. Am Flughafen von Accra steht jetzt ein High-Tech-Logistikzentrum. Die Frachtunternehmer, deren erster und bester Kunde Helmut Lutz war, sind reich geworden. Lutz verdient an jeder Frucht ein paar Cent. Er zahlt Kredite ab. Sein Telefon klingelt. Eine Mitarbeiterin berichtet, ein Arbeiter habe sich einen Finger abgesägt. Man fürchte, auf der Farm liege ein Fluch, juju heißt das. Mr. Helmut solle zum Schutz ein Stück Wachs in seine Hosentasche stecken. »Manchmal«, qualmt Lutz, »frage ich mich, wofür ich des mach!«

Später sitzt er im Garten des Häuschens, das ihm ein deutscher Aussteiger neben die Farm gezimmert hat. Das Hausmädchen serviert Spätzle mit Gulasch nach altem Lutz-Rezept. Lutz schlingt. Irgendeine Pumpe ist kaputt. Und er muss die Pflanzung kontrollieren. Auf seiner Farm besteht jeder Tag aus schaffe, schaffe und Häusle baue, aber die Tage sind nicht monoton, sondern unvorhersehbar. Helmut Lutz hat etwas Einzigartiges geschaffen: das Ländle als Abenteuer. Filderstadt mit Buschfeuer. Lutz wird gebraucht. Er braucht das.

Helmut Lutz spürt, dass er nicht alt wird, wenn er weiter so raucht. Er will noch ein Haus in Ghana bauen. Auf einer kleinen Hochebene über seinen endlosen Feldern. Seine kleine Filder. Hier soll es enden. In einem Schaukelstuhl, selbst im Winter am Pool. Geschmiert und gesalbt von Pflegerinnen, die einen alten Mann in Deutschland »ned mit dem Arsch agugge würde« und die man sich da auch nicht leisten könnte. Helmut Lutz kann nicht mehr zurück. Weil er hier, 4894 Kilometer von zu Hause entfernt, gern der ist, der er immer war, aber nie sein wollte. Ein echter Schwabe.

Tags

No tags available.

Categories

No categories available.